Sie sind hier: Home / Aktuelle Nachrichten / 2024 / Archivalie
Diese Seite vorlesen:

Archivalie des Monats Juli

Wieslocher Notgeld von 1923 - Juli 2024

Wieslocher Notgeld von 1923

Nein, die Stadt Wiesloch wurde mit keinem unverhofften Geldsegen bedacht, der es ihr erlaubt, äußerst großzügige Geldgeschenke unter die Bevölkerung zu bringen, zumal die Zeiten von Mark und Pfennig ja schon eine ganze Weile vorbei sind. Stattdessen handelt es sich bei unserer Archivalie des Monats Juli um ein aus der Not geborenes, zeitlich begrenztes Zahlungsmittel, das 1923 in vergleichbarer Form in ganz Deutschland im Umlauf war. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „Notgeld“.

Die Jahre der kurzlebigen Weimarer Republik nach Ende des Ersten Weltkrieges waren in vielerlei Hinsicht turbulent. Die verklärende Begrifflichkeit der angeblich „goldenen Zwanziger“ wird dieser Epoche nur in Teilen gerecht und umfasst strenggenommen auch nur den Zeitraum von ungefähr 1924 bis 1929, als es zu einem zeitweisen wirtschaftlichen Aufschwung kam, mit dem auch vielfältige kulturelle und wissenschaftliche Innovationen verknüpft waren. Darunter darf aber nicht vergessen werden, dass die 1920er-Jahre in Deutschland vor allem im Zeichen diverser großer Krisen und politischer Unruhen standen, die vielerorts zu bürgerkriegsartigen Zuständen führten und letztlich auch den Weg zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ebneten.

Krieg ist ein katastrophales, menschengemachtes Ereignis, dessen schlimmste Auswirkungen in Tod, Verstümmelung und Traumatisierung einer großen Menschenzahl bestehen. Doch daneben gibt es noch weitere negative Begleiterscheinungen. So ist die Kriegsführung für die beteiligten Länder auch immer ein extrem teures Unterfangen, das oft zwangsläufig zur zeitweisen Staatsüberschuldung führt. Natürlich kalkuliert jede Kriegspartei, schlussendlich als Sieger hervorzugehen und die wirtschaftliche Schieflage nach erfolgtem Friedensschluss durch Entschädigungszahlungen seitens des Besiegten wieder ausgleichen zu können, so auch Deutschland nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Bekanntermaßen ging die Rechnung jedoch nicht auf. Deutschland verlor den Krieg und wurde von den Siegermächten zur Leistung sehr hoher Reparationsleistungen und -zahlungen verpflichtet. Die ohnehin prekäre wirtschaftliche Lage im Land verschärfte sich dadurch massiv.

Nachdem Deutschland in den Folgejahren immer stärker in Zahlungsverzug bei seinen internationalen Gläubigern geriet, kam es mit der Besetzung des Ruhrgebietes durch französische Truppen zu einem vorläufigen Höhepunkt der Eskalationsspirale. Im Zuge dieses Nachbarschaftskonflikts rief die deutsche Regierung die Beschäftigten im besetzten Gebiet zum passiven Widerstand durch Streik aus und zahlte die Löhne an die betroffenen Arbeiter weiter aus. Diese Maßnahme war allerdings zu viel für das finanziell ohnehin schon in höchstem Maße strapazierte Deutschland, und so setzte innerhalb kürzester Zeit eine dramatische Geldentwertung ein, die für irrwitzige Preisentwicklungen sorgte. Preise von bis zu 360 Milliarden Mark für einen Liter Milch waren kein schlechter Scherz, sondern bittere Realität für die Menschen, die diese Zeit erlebten. Banknoten wurden förmlich zu Spielgeld und der Tauschhandel florierte. Diese extremen Entwicklungen stellten alsbald auch die Reichsdruckerei vor enorme Herausforderungen – sie kam schlicht mit dem Gelddrucken nicht mehr hinterher. Notgedrungen kam es daher vielerorts zum Einsatz des eingangs erwähnten Notgeldes, wozu auch der oben abgebildete Gutschein gehörte, der im Oktober 1923 von der Stadtgemeinde Wiesloch ausgegeben worden war – gesiegelt und namentlich gezeichnet vom damaligen Wieslocher Bürgermeister Wilhelm Götz (1920-1925).
Erst mit der übergangsweisen Einführung der sogenannten Rentenmark im November 1923, der alsbald die neue Währung „Reichsmark“ folgen sollte und einem kulanteren Agieren der Gläubigerstaaten gegenüber Deutschland entspannte sich die wirtschaftliche Lage allmählich wieder, ehe es in Folge des „Schwarzen Freitages“ ab 1929 zu einer erneuten, diesmal globalen, Wirtschaftskrise mit katastrophalen Auswirkungen kommen sollte.

Die wirtschaftliche Lage Wieslochs zur Zeit der Hyperinflation ist in den Akten des Stadtarchivs leider recht spärlich dokumentiert, wie schon der Brühler Historiker Dr. Volker Kronemayer im Zuge seiner Recherchen zur Industrieentwicklung Wieslochs feststellen musste. Wer mehr über die industrielle und wirtschaftliche Situation Wieslochs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfahren möchte, dem sei dennoch sein lesenswerter Aufsatz aus dem Jahr 2000 empfohlen:
Kronemayer, Volker: Die Industrieentwicklung Wieslochs vom Anfang bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Industriegeschichte Wieslochs im Spiegel der Akten des Stadtarchivs. In: Stadtarchiv Wiesloch (Hg.): Wiesloch. Beiträge zur Geschichte, Band 1, Ubstadt-Weiher, 2000, S. 197-224.

Stadtarchiv, Museum und Literatur über Wiesloch:

Wer nun Lust bekommen hat, sich noch eingehender mit der Geschichte Wieslochs zu beschäftigen, hat dafür vielfältige Möglichkeiten:
Unsere Seite Literatur verschafft einen guten Überblick. Jede Menge Lesestoff aus Originalquellen und historisches Bildmaterial gibt es außerdem in den Beständen des Stadtarchivs, das von allen interessierten Personen kontaktiert und nach terminlicher Abstimmung genutzt werden kann. Außerdem sei Ihnen ein Besuch des Städtischen Museums im mittelalterlichen Wehrturm „Dörndl“ nahegelegt, das in zentraler Stadtlage auf seiner Ausstellungsfläche allerlei Anschauliches zu den Themen Wieslocher Bergbau, frühe Besiedlungsgeschichte und vieles mehr zu bieten hat. Das Städtische Museum ist jeden Sonntag von 14 bis 16 Uhr geöffnet, der Eintritt ist kostenlos.