Das Wieslocher Stadtarchiv öffnet seine Schatzkästchen und stellt hier sukzessive Dokumente zur Verfügung.
Archivalie des Monats:
Das Wieslocher Stadtarchiv hat weit mehr zu bieten, als alte, staubige Unterlagen, die „kein Mensch mehr braucht“. Ganz im Gegenteil, es ist eine Schatzkammer für das historische Gedächtnis unserer Stadt, die auf eine lange, vielfältige und spannende Geschichte zurückblicken kann. Einige der Schmuckstücke des Archivs werden Ihnen an dieser Stelle in Form der „Archivalie des Monats“ präsentiert. Kurze, erläuternde Texte liefern Ihnen die dazugehörigen Hintergrundinformationen. Schauen Sie regelmäßig hier vorbei, es lohnt sich!
50 Jahre Partnerschaft der Städte Wiesloch und Fontenay-aux-Roses - Oktober 2024
Im Text unserer Archivalie des Monats Juni wurde es bereits angerissen, diesen Monat machen wir es zum Schwerpunktthema: Die Partnerschaft Wieslochs mit der französischen Stadt Fontenay-aux-Roses wird dieses Jahr 50 Jahre alt. Eine schöne Gelegenheit, an die Anfänge dieser Partnerschaft, aus der längst auch zahlreiche langjährige Freundschaften entstanden sind, zu erinnern.
Vorweg ist es jedoch unabdingbar, zum vollumfänglichen Verständnis der Bedeutung dieser Partnerschaft die Geschichte des wechselvollen Verhältnisses der Länder Deutschland und Frankreich zueinander zu beleuchten. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts und spätestens ab Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870 und der anschließenden deutschen Reichsgründung 1871 herrschte über viele Jahre hinweg eine schwelende Feindschaft zwischen den beiden Nachbarstaaten, die in mehreren Kriegen eskalierte. Ihren traurigen und grausamen Höhepunkt fand diese Entwicklung in den beiden Weltkriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Viele Soldaten beiderseits des Rheins ließen in den gegeneinander geführten Schlachten ihr Leben, und insbesondere in Frankreich hatte auch die Zivilbevölkerung stark unter den Kampfhandlungen und zeitweise auch unter den Repressionen und der menschenverachtenden Willkür der deutschen Besatzungsmacht zu leiden. Man kann sich denken, dass sich angesichts dieser Vorgeschichte das deutsch-französische Verhältnis nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf einem Tiefpunkt befand. Die Abneigung der Franzosen gegen alles Deutsche und der Deutschen gegen alles Französische waren stark ausgeprägt und in Deutschland hatte sich längst der Begriff der „Erbfeindschaft“ etabliert.
Dass es überhaupt jemals wieder zu einer wechselseitigen Annäherung der beiden Länder kommen würde, hätte damals kaum jemand für möglich gehalten, vom Entstehen einer Freundschaft ganz zu schweigen. Zu tief und unüberwindbar schienen die entstanden Gräben. Und doch ist es so gekommen, was diversen couragierten Persönlichkeiten zu verdanken war. Namentlich genannt sei hierbei Charles des Gaulles auf französischer Seite. Unvergessen ist seine vielbeachtete Rede an die deutsche Jugend, die er 1962 in Ludwigsburg hielt. Darin streckte er dem einstigen Feind in eindrucksvollen Worten die Hand der Freundschaft entgegen. Und auch der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, bemühte sich intensiv um eine Aussöhnung und Wiederannäherung an den Nachbarn im Westen. Infolgedessen kam es bereits 1963 zur feierlichen Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages im Pariser Élysée-Palast – ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Aussöhnung beider Länder nach dem Zweiten Weltkrieg.
Freilich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Kooperation der ehemaligen Feinde auch aus taktischen Gründen vorangetrieben wurde. Denn bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges sah sich die Welt mit einer neuen Bedrohung konfrontiert, die erneut das gefährliche Potenzial besaß, sich zu einem internationalen Flächenbrand auszuweiten. Die Rede ist vom als „Kalter Krieg“ in die Geschichte eingegangenen Konflikt, in welchem die parlamentarisch-demokratisch und kapitalistisch geprägten Staaten des globalen Westens den kommunistischen Ländern des sogenannten „Ostblocks“ gegenüberstanden und sich gegenseitig mit ihrem verheerenden Atomwaffenpotenzial bedrohten. Beiderseits der als „Eiserner Vorhang“ bezeichneten Grenze jener Machtblöcke, die bekanntermaßen mitten durch Europa verlief und Deutschland zweiteilte, bemühte man sich Geschlossenheit zu demonstrieren – auch dieser Aspekt darf nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, wenn man sich der Geschichte der deutsch-französischen Freundschaft erinnert.
Trotzdem soll dieser Hintergrund die Bedeutung der Entstehung dieser Freundschaft in keiner Weise schmälern. Denn abseits alles politischen Kalküls wurde die wechselseitige Wiederannäherung durch ihre Protagonisten auch aus echter Überzeugung durchgeführt und es ist deren ausgeprägtem Willen zur Versöhnung zu verdanken, dass Deutschland und Frankreich heute ein freundschaftlich-partnerschaftliches Verhältnis auf Augenhöhe zueinander pflegen. Die Wiederannäherung sollte nicht nur auf staatlicher Ebene befördert werden, sondern ganz bewusst auch im Kleinen, also seitens der Kommunen. Diese Entwicklung beschränkte sich im Übrigen nicht auf Deutschland und Frankreich, sondern wurde auch zwischen anderen Ländern westlich des Eisernen Vorhangs betrieben. Gemeinden und Städte suchten den Kontakt zu Partnern vergleichbarer Größe in anderen Staaten. So geschehen auch in Wiesloch, das seine erste Städtepartnerschaft 1966 mit der US-amerikanischen Stadt Sturgis (Michigan) besiegelte. In den 1970er-Jahren war es dem damaligen Wieslocher (Ober-)Bürgermeister Heinz Bettinger schließlich ein Anliegen, auch eine Partnerschaft mit einer Stadt des unmittelbaren westlichen Nachbarn einzugehen, und so kam es 1973 zur Kontaktaufnahme mit der französischen Stadt Fontenay-aux-Roses. Bettinger fand in deren damaligem Bürgermeister Maurice Dolivet einen Gleichgesinnten, dem das Knüpfen partnerschaftlicher und freundschaftlicher Bande mit dem deutschen Nachbarn ebenfalls eine Herzensangelegenheit war. So sagte Dolivet selbst über die sich anbahnende Partnerschaft: „Gleich nachdem die ersten Kontakte mit Wiesloch aufgenommen wurden, entstand zwischen uns Freundschaft und Sympathie.“ Demgemäß war es Ende 1973 nur noch eine Formsache, dass die Gemeinderäte der beiden Städte sich für den Vollzug der Partnerschaft im darauffolgenden Jahr aussprachen.
1974 war es dann soweit: Im Rahmen zweier wechselseitiger Besuche wurde die neue Städtepartnerschaft offiziell und feierlich besiegelt. Den Anfang machte im Mai der Besuch der Wieslocher Delegation in Fontenay-aux-Roses. Hier wurde unter großer öffentlicher Anteilnahme und umrahmt von umfangreichen Festivitäten die französische Variante der Partnerschaftsurkunde durch die beiden Bürgermeister unterzeichnet. Nicht minder festlich ging es beim Gegenbesuch der Franzosen in Wiesloch im Oktober desselben Jahres zu. Unter dem tatkräftigen Mitwirken diverser Vereine wurde ein würdiges Rahmenprogramm für die Unterzeichnung der deutschsprachigen Partnerschaftsurkunde geschaffen.
Dies war also die Geburtsstunde der Partnerschaft der Städte Fontenay-aux-Roses und Wiesloch, die bis heute fortbesteht und im Juli, im Rahmen einer Feierstunde anlässlich des 50-jährigen Jubiläums, durch Unterzeichnung zweier neuer Partnerschaftsurkunden feierlich erneuert wurde. Getragen und intensiviert wurde die freundschaftliche Partnerschaft im Laufe der Jahrzehnte durch eine Vielzahl von Aktionen und Persönlichkeit, die im Einzelnen aufzuzählen den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Es bleibt, beiden Städten zu wünschen, dass ihre Partnerschaft auch in den kommenden Jahrzehnten weiter gepflegt wird, denn, wie es Herr Oberbürgermeister Elkemann im Rahmen der Feierlichkeiten im Juli zum Ausdruck brachte: „Dass diese Freundschaft seit nunmehr 50 Jahren fortbesteht, erfüllt die Bürgerinnen und Bürger Wieslochs und mich mit Freude, Stolz und großer Dankbarkeit“. Oder, um mit den Worten Heinz Bettingers aus dem Jahr 1974 abzuschließen: „Eine Städtepartnerschaft ist kein Ergebnis, sondern ein Weg, der ständig neu begangen werden muss.“ Begehen kann diesen jeder Einzelne von uns.
Auszüge aus der Schülerzeitung "Die Stimme" von 1971 - September 2024
Diesen Monat wird’s politisch und revolutionär! Doch, um es gleich vorwegzuschicken: Es ist nicht beabsichtigt, mit der an dieser Stelle präsentierten Archivalie ein politisches Statement abzugeben oder gar zur Rebellion gegen Obrigkeit und Autoritäten aufzurufen. Stattdessen soll hier, wie immer, ein Objekt aus vergangenen Tagen präsentiert werden, das aus berechtigten Gründen seinen Weg in die Bestände des Wieslocher Stadtarchivs gefunden hat und anhand dessen sich Rückschlüsse auf seinen Entstehungskontext ziehen lassen, der durch die erläuternden Texte kurz und knapp beleuchtet werden soll.
Ein solcher Entstehungskontext ist in diesem Fall die Epoche der sogenannten 68er-Revolution, die sich bis weit in die 1970er-Jahre zog und deren irreversible Nachwirkungen bis heute deutlich spürbar und Gegenstand zum Teil sehr emotional geführter kontroverser Debatten sind. Die Hintergründe der damaligen Studentenunruhen, die sich bald zu großen, gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen auswachsen sollten, sind äußerst vielschichtig und können an dieser Stelle nur sehr oberflächlich umrissen werden: Vor den Hintergründen eines sich immer weiter zuspitzenden Ost-Westkonflikts, des äußerst brutal geführten Vietnamkrieges und der zum damaligen Zeitpunkt, nach Ansicht vieler, noch sehr unzureichend erfolgten Entnazifizierung Deutschlands formierte sich eine vorwiegend aus jungen Menschen bestehende Protestbewegung, die nicht weniger als eine politisch-ideologische Transformation des deutschen Staates und der deutschen Gesellschaft forderten. Das System der noch jungen Bundesrepublik Deutschland wurde als verknöchert-autoritär und USA-hörig empfunden. Hierfür wurde der Gegenentwurf eines souveränen, sozialistischen und antikapitalistischen Staates gezeichnet, der sich endgültig seiner nationalistischen Altlasten entledigen sollte.
Bekanntermaßen konnten sich die Protestierenden nicht mit all ihren Forderungen durchsetzen. Doch die Etablierung neuer Familien- und Erziehungsmodelle, eine Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe unterschiedlichster Minderheiten und eine deutliche Erhöhung der ideologischen und politischen Vielfalt innerhalb und außerhalb der Parlamente gehören zweifelsohne zu einer umfangreichen Reihe von Veränderungen, die in dieser turbulenten Zeit nachhaltig erwirkt bzw. vorangebracht wurden. Nicht unerwähnt bleiben soll hierbei auch die Frauenemanzipation, die ebenfalls einen deutlichen Vorschub erfuhr.
Die Gesellschaft befindet sich stetig im Wandel. Protestphasen ebben nach Erreichen ihres Höhepunktes allmählich ab und die Menschen werden – pauschal gesprochen – vermeintlich wieder braver und angepasster, so auch in diesem Fall. Doch eine Rückkehr zu „vorrevolutionären“ Zuständen erfolgt in der Regel nicht mehr. Denn nach der Revolution ist vor der Revolution. Oder, wem das zu aufwieglerisch ist, hier die harmlosere Variante: Veränderungen und Innovationen sind immer möglich, mal im Kleinen, mal im Großen.
Wohlwissend, dass die obige Beschreibung der Ziele der „68er“ viel zu kurzgefasst ist und der großen ideologischen Heterogenität dieser Bewegung nicht gerecht wird, sei allen Jüngeren, am Thema Interessierten nicht nur der Rückgriff auf einschlägige Literatur und Filme empfohlen, sondern auch der Gang zu den eigenen Eltern oder Großeltern, die diese Zeit bewusst miterlebten und bestimmt allerlei Spannendes darüber zu erzählen haben.
Urlaubsantrag von 1913 - August 2024
Sommer, Sonne, Urlaubszeit. Ob aus familiären oder beruflichen Gründen oder einfach nur, um die Zeit der hochsommerlichen Temperaturen nicht an der Arbeitsstätte verbringen zu müssen: Der August ist in Deutschland traditionell einer der beliebtesten Urlaubsmonate des Jahres. Auch in unserer Region befinden sich derzeit viele Menschen im oder kurz vor ihrem Sommerurlaub oder sie sind gerade aus diesem zurückgekehrt. Wie viele Tage Urlaub man im Jahr zur Verfügung hat, kann je nach ausgeübter Tätigkeit und Arbeitgeber variieren. Im Normalfall stehen jedoch jedem Arbeitnehmer mit einer 6-Tagewoche mindestens 24 Urlaubstage im Jahr zu, was auch gesetzlich garantiert ist. Das war nicht immer so, wie unsere Archivalie des Monats August eindrucksvoll unter Beweis stellt:
An verehrlichen Gemeinderat Die Beurlaubung der Gemeindebeamten betreffend Da ich seit April des Jahres im 4. Dienstjahre mich befinde und ich bis jetzt einen Urlaub nicht beansprucht habe, so ersuche ich verehrlichen Gemeinderat um gefällige Erteilung beziehungsweise Genehmigung eines 14-tägigen Urlaubs. Wiesloch, den 27. August 1913. Ergebenst Martin Schmitt Ratschreibergehilfe
Im Zeitalter der Hochindustrialisierung, das in Deutschland ungefähr mit der Reichsgründung 1871 einsetzte, waren Arbeiterfürsorge oder gar die heute vielbeschworene Work-Life-Balance noch Fremdworte. Alles hatte sich der Produktivität und der Rationalisierung unterzuordnen. Arbeiter wurden eher als Teile der Gesamtmaschinerie denn als menschliche Individuen begriffen. Erst als deren Widerstand gegen die zum Teil unmenschlichen Arbeitsbedingungen anstieg, setzte seitens der Arbeitgeber im frühen 20. Jahrhundert langsam ein Umdenken ein. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“. Dieses bis heute wohlbekannte Zitat aus einem Arbeiterkampflied des 19. Jahrhunderts steht sinnbildlich für das wachsende Selbstbewusstsein der arbeitenden Bevölkerung, die sich allmählich vom frühneuzeitlichen Untertanendenken loslöste. Die Gründung von Arbeitervereinen und Gewerkschaften sowie die Durchführung erster Streiks ließen die Verantwortungsträger in den Betrieben und auch in den Verwaltungen erkennen, dass sie sich das Wohlwollen ihrer Angestellten sichern mussten, wenn sie handlungsfähig und effizient bleiben wollten.
Auch der für uns heute so selbstverständliche Erholungsurlaub musste seinerzeit hart erkämpft werden. So war es eine kleine Sensation, als die Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) 1907 nach einem vorausgegangenen Streik erstmals ihren Arbeitern einen bezahlten Erholungsurlaub von einer Woche pro Jahr zubilligte. Dieses Privilegs konnte sich allerdings nur bedienen, wer seit mindestens 10(!) Jahren ohne Unterbrechung im Unternehmen tätig war. Die Staatsbeamten hatten es diesbezüglich besser. Ihnen stand bereits seit 1873 per Gesetz das Recht zu, einen 8-10-tägigen Jahresurlaub zu beantragen, jedoch ohne einen rechtlichen Anspruch darauf zu haben, dass dieser auch bewilligt wurde. Auf kommunaler Ebene entschied über die Urlaubsbewilligung der städtischen Angestellten der Gemeinderat, so auch in Wiesloch. Aus heutiger Sicht mutet die Bitte des Ratschreibergehilfen Schmitt um einen erstmaligen 14-tägigen Urlaub im vierten Dienstjahr äußerst bescheiden an. Doch im Jahr 1913 war das dem damaligen Gemeinderat offensichtlich zu viel.
So findet sich unter dem Schriftstück der Vermerk: 8 Tage Ausnahmsweise! Mündlich eröffnet
Im Laufe der darauffolgenden Jahrzehnte mit ihren sich verändernden politischen und wirtschaftlichen Bedingungen und in Folge zahlreicher Arbeitskämpfe wurden die Urlaubsregelungen immer mitarbeiterfreundlicher. Der eingangs erwähnte gesetzliche Urlaubsanspruch von mindestens 24 Tagen pro Jahr ist seit 1963 im Bundesurlaubsgesetz verankert.
Darum genießen Sie ihren Urlaub, egal ob zuhause oder in der Ferne, und erfreuen Sie sich der Tatsache, dass Sie heute nicht, nachdem Sie vier Jahre „durchgeackert“ haben, untertänigst um einen 14-tägigen Urlaub bitten müssen, der Ihnen dann noch nicht einmal vollumfänglich genehmigt wird.
Wieslocher Notgeld von 1923 - Juli 2024
Nein, die Stadt Wiesloch wurde mit keinem unverhofften Geldsegen bedacht, der es ihr erlaubt, äußerst großzügige Geldgeschenke unter die Bevölkerung zu bringen, zumal die Zeiten von Mark und Pfennig ja schon eine ganze Weile vorbei sind. Stattdessen handelt es sich bei unserer Archivalie des Monats Juli um ein aus der Not geborenes, zeitlich begrenztes Zahlungsmittel, das 1923 in vergleichbarer Form in ganz Deutschland im Umlauf war. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „Notgeld“.
Die Jahre der kurzlebigen Weimarer Republik nach Ende des Ersten Weltkrieges waren in vielerlei Hinsicht turbulent. Die verklärende Begrifflichkeit der angeblich „goldenen Zwanziger“ wird dieser Epoche nur in Teilen gerecht und umfasst strenggenommen auch nur den Zeitraum von ungefähr 1924 bis 1929, als es zu einem zeitweisen wirtschaftlichen Aufschwung kam, mit dem auch vielfältige kulturelle und wissenschaftliche Innovationen verknüpft waren. Darunter darf aber nicht vergessen werden, dass die 1920er-Jahre in Deutschland vor allem im Zeichen diverser großer Krisen und politischer Unruhen standen, die vielerorts zu bürgerkriegsartigen Zuständen führten und letztlich auch den Weg zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ebneten.
Krieg ist ein katastrophales, menschengemachtes Ereignis, dessen schlimmste Auswirkungen in Tod, Verstümmelung und Traumatisierung einer großen Menschenzahl bestehen. Doch daneben gibt es noch weitere negative Begleiterscheinungen. So ist die Kriegsführung für die beteiligten Länder auch immer ein extrem teures Unterfangen, das oft zwangsläufig zur zeitweisen Staatsüberschuldung führt. Natürlich kalkuliert jede Kriegspartei, schlussendlich als Sieger hervorzugehen und die wirtschaftliche Schieflage nach erfolgtem Friedensschluss durch Entschädigungszahlungen seitens des Besiegten wieder ausgleichen zu können, so auch Deutschland nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Bekanntermaßen ging die Rechnung jedoch nicht auf. Deutschland verlor den Krieg und wurde von den Siegermächten zur Leistung sehr hoher Reparationsleistungen und -zahlungen verpflichtet. Die ohnehin prekäre wirtschaftliche Lage im Land verschärfte sich dadurch massiv.
Nachdem Deutschland in den Folgejahren immer stärker in Zahlungsverzug bei seinen internationalen Gläubigern geriet, kam es mit der Besetzung des Ruhrgebietes durch französische Truppen zu einem vorläufigen Höhepunkt der Eskalationsspirale. Im Zuge dieses Nachbarschaftskonflikts rief die deutsche Regierung die Beschäftigten im besetzten Gebiet zum passiven Widerstand durch Streik aus und zahlte die Löhne an die betroffenen Arbeiter weiter aus. Diese Maßnahme war allerdings zu viel für das finanziell ohnehin schon in höchstem Maße strapazierte Deutschland, und so setzte innerhalb kürzester Zeit eine dramatische Geldentwertung ein, die für irrwitzige Preisentwicklungen sorgte. Preise von bis zu 360 Milliarden Mark für einen Liter Milch waren kein schlechter Scherz, sondern bittere Realität für die Menschen, die diese Zeit erlebten. Banknoten wurden förmlich zu Spielgeld und der Tauschhandel florierte. Diese extremen Entwicklungen stellten alsbald auch die Reichsdruckerei vor enorme Herausforderungen – sie kam schlicht mit dem Gelddrucken nicht mehr hinterher. Notgedrungen kam es daher vielerorts zum Einsatz des eingangs erwähnten Notgeldes, wozu auch der oben abgebildete Gutschein gehörte, der im Oktober 1923 von der Stadtgemeinde Wiesloch ausgegeben worden war – gesiegelt und namentlich gezeichnet vom damaligen Wieslocher Bürgermeister Wilhelm Götz (1920-1925). Erst mit der übergangsweisen Einführung der sogenannten Rentenmark im November 1923, der alsbald die neue Währung „Reichsmark“ folgen sollte und einem kulanteren Agieren der Gläubigerstaaten gegenüber Deutschland entspannte sich die wirtschaftliche Lage allmählich wieder, ehe es in Folge des „Schwarzen Freitages“ ab 1929 zu einer erneuten, diesmal globalen, Wirtschaftskrise mit katastrophalen Auswirkungen kommen sollte.
Die wirtschaftliche Lage Wieslochs zur Zeit der Hyperinflation ist in den Akten des Stadtarchivs leider recht spärlich dokumentiert, wie schon der Brühler Historiker Dr. Volker Kronemayer im Zuge seiner Recherchen zur Industrieentwicklung Wieslochs feststellen musste. Wer mehr über die industrielle und wirtschaftliche Situation Wieslochs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfahren möchte, dem sei dennoch sein lesenswerter Aufsatz aus dem Jahr 2000 empfohlen: Kronemayer, Volker: Die Industrieentwicklung Wieslochs vom Anfang bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Industriegeschichte Wieslochs im Spiegel der Akten des Stadtarchivs. In: Stadtarchiv Wiesloch (Hg.): Wiesloch. Beiträge zur Geschichte, Band 1, Ubstadt-Weiher, 2000, S. 197-224.
Europawahl 1979 - Juni 2024
Aus gegebenem Anlass präsentieren wir an dieser Stelle die Ergebnisse der Europawahl in den Wieslocher Wahlbezirken:
Von 13.910 Wahlberechtigten haben 8.426 gewählt, die Wahlbeteiligung lag somit bei 60,58 %.
Sie werden es schon gemerkt haben: Es handelt sich dabei nicht um das Wieslocher Ergebnis der aktuellen Europawahl, dieses ist HIER einsehbar. Doch die obigen Zahlen aus dem Jahr 1979 markieren den Wieslocher Beitrag zu einem wichtigen Meilenstein in der Geschichte der europäischen Einigung. In diesem Jahr durften nämlich erstmals alle Wahlberechtigten der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) in freier und geheimer Wahl über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments bestimmen. Die bundesweiten Wahlergebnisse der Europawahl 1979 finden Sie auf der Seite der Bundeswahlleiterin
1979 waren Bedeutung, Funktion und Wichtigkeit des Europäischen Parlaments noch nicht sonderlich gut im kollektiven Bewusstsein verankert. Dieser Tatsache war man sich seitens der Politik durchaus bewusst und hat deshalb im Vorfeld der Wahl fleißig die Werbetrommel gerührt und die Bürgerinnen und Bürger zum Wählen aufgerufen – auch in Wiesloch. In der Folge wurde am Wahltag eine respektable Wahlbeteiligung von bundesweit 65,7 % erreicht. Diese lag damit jedoch deutlich unter jenen der Bundestagswahlen 1976 (90,7 %) und 1980 (88,6 %). Ein Trend, der sich bis heute fortsetzte, wie man am Vergleich der bundesweiten Wahlbeteiligungen an der Bundestagswahl 2021 (76,6 %) und der kürzlich stattgefundenen Europawahl (64,8 %) sehen kann. Die Tatsache, dass die Wahlbeteiligung bei der diesjährigen Europawahl die höchste seit der deutschen Wiedervereinigung war, ist dennoch bemerkenswert.
Drei Tage vor dem Termin der erstmaligen Europawahl rief der damalige Wieslocher Oberbürgermeister Heinz Bettinger (1968-1984) auf der Titelseite der Wieslocher Woche die Wieslocher Bürger letztmalig mit den untenstehenden Worten zum Wählen auf:
Im zweiten Absatz dieses Appells, der nichts von seiner Aktualität verloren hat, findet sich außerdem der Hinweis auf ein für Wiesloch wichtiges innereuropäisches Projekt, für welches wenige Jahre zuvor der Grundstein gelegt worden war: Gemeint ist die Städtepartnerschaft Wieslochs mit Fontenay-aux-Roses, die 1974 urkundlich besiegelt wurde – also vor genau 50 Jahren.
Das Zustandekommen einer solchen Partnerschaft hätte sich 30 Jahre zuvor wohl kaum jemand vorstellen können. Die Nachbarn Deutschland und Frankreich waren sich bis 1945 als erbitterte Feinde gegenübergestanden, und insbesondere auch die französische Zivilbevölkerung hatte wiederholt unter den Grausamkeiten der deutschen Kriegs- und Besatzungsmächte leiden müssen. Dass es trotz alledem wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu Gesten der Aussöhnung und zu freundschaftlichen Annäherungen zwischen beiden Ländern kam, die in der Folgezeit immer weiter gepflegt und verfestigt wurden, war ein starkes Signal, das bis heute nachhallt. Der Welt wurde damit gezeigt, dass auch aus einstigen Todfeinden Freunde werden können, wenn der Wille dazu stark genug ist.
Die diesjährige „Mammutwahl“ – bestehend aus Europawahl, Kreistagswahl, Gemeinderatswahl und stellenweise auch noch Ortschaftsratswahl – liegt gerade hinter uns, und vielen Wählern und auch den Wahlhelfern schwirrt noch der Kopf von den vielfältigen Möglichkeiten der Stimmenvergabe. Während seitens der Politik nun die Wahlergebnisse und ihre Folgen aufgearbeitet werden, soll an dieser Stelle das Augenmerk auf die Tatsache gelenkt werden, dass die Schaffung eines Staatenverbundes, der einen Großteil der Länder Europas umfasst, nach wie vor ein in der Geschichte dieses Kontinents sehr junges Phänomen darstellt. Ein Kontinent, dessen ewiges Schicksal es bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu sein schien, von Zwietracht und Krieg durchzogen zu sein. Es ist ratsam, sich dies hin und wieder zu vergegenwärtigen und niemals gänzlich aus dem Blick zu verlieren. Dies gilt auch und insbesondere dann, wenn – wie gegenwärtig – Europa von vielfältigen Krisen und leider sogar kriegerischen Handlungen heimgesucht wird.
Ton-Rundfunkgenehmigung der Deutschen Bundespost von 1959 - April 2024
Im April bekommen Sie was zu hören. Das kann jeder bestätigen, der die Wetterkapriolen der letzten Wochen mitverfolgt und dabei auch das ein oder andere Donnergrollen vernommen hat. Um beim Thema Hören zu bleiben, schlagen wir einen inhaltlichen Bogen zu einer Institution, für dessen Nutzung das Hören essenziell ist: den Tonrundfunk.
Zunächst ein kleiner historischer Exkurs: 1923 ging die Funk-Stunde Berlin auf Sendung, der erste Rundfunksender Deutschlands. Mit seiner Einführung kam es auch erstmalig zur Erhebung von Rundfunkgebühren, beginnend mit einer Jahresgebühr von 25 Mark, die im Zuge der Inflationszeit rasch auf bis zu 60 Mark erhöht wurde. Ein stolzer Preis, den sich viele nicht leisten konnten. Die offizielle Zuhörerzahl hielt sich deshalb anfänglich stark in Grenzen und es gab viele Schwarzhörer, die auf zum Teil selbst gebastelten Geräten heimlich den Sendungen lauschten. Erst, als man sich vom alten Gebührenmodell verabschiedete und es zur Einführung einer Monatsgebühr von 2 Reichsmark pro Gerät kam, erhöhte sich die Zahl der legalen Zuhörer schnell und die Rundfunkprogramme erfreuten sich – Jahrzehnte, bevor die ersten Fernseher Einzug in die Privathaushalte hielten – zunehmender Beliebtheit.
Mit dem weiteren Ausbau der Sendeanstalten und der stetig wachsenden Verbreitung der Rundfunkempfänger kam es 1931 zum Erlass gesetzlich verankerter „Bestimmungen über den Rundfunk“, welche die Rechte und Pflichten der Hörer detailliert regelten. Diese Bestimmungen behielten ihre Gültigkeit auch noch lange nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, was sich auch auf unserer Archivalie des Monats April ablesen lässt. Allerdings hatte das Radio 1959 bereits einen ernstzunehmenden Konkurrenten bekommen, der sich zunehmender Beliebtheit erfreute: Den oben erwähnten Fernseher. Aus diesem Grund wurde zu jener Zeit bereits zwischen Ton-Rundfunkgenehmigungen und Fernseh-Rundfunkgenehmigungen differenziert. Letztere waren teurer, was auch jahrzehntelang so blieb, bis 2013 die Rundfunkgebühren durch den Rundfunkbeitrag abgelöst wurden.
Die hier abgebildete Ton-Rundfunkgenehmigung war für das Bürgermeisteramt der damals noch eigenständigen Gemeinde Schatthausen ausgestellt worden. Für die Ausstellung der Genehmigungen war die Bundespost zuständig. Bei der näheren Betrachtung des ausgefüllten Vordrucks fällt auf, dass hier das Wort „Schulfunk“ handschriftlich beigefügt wurde. Dabei handelte es sich um speziell auf Schulkinder zugeschnittene Bildungsprogramme, die zugleich durchaus unterhaltenden Charakter hatten. Insbesondere in den 1950er- und 1960er-Jahren erfreute sich der Schulfunk großer Beliebtheit und oft wurden zum Zweck seines Empfangs Radios in den öffentlichen Schulen aufgestellt. Der Schulfunk wurde dann zur Ergänzung und Auflockerung des Unterrichts von den Lehrkräften begleitet abgespielt. Es steht zu vermuten, dass sich die abgebildete Genehmigung auf ein in der damaligen christlichen Gemeinschaftsschule Schatthausen befindliches Gerät bezieht.
„Video Killed the Radio Star“ sangen die Buggles 1979, doch die weiteren Entwicklungen haben die Schöpfer dieses Liedes eines Besseren belehrt. Das Medium Radio und mit ihm der Ton-Rundfunk ist trotz eines immer vielfältigeren Medienangebotes nicht so leicht tot zu kriegen und dürfte auch auf absehbare Zeit quicklebendig bleiben.
Wieslocher Ansichtskarte von 1897 - März 2024
Wiesloch war schon immer eine Reise wert! Wenngleich Ansichtskarten im Zeitalter sozialer Medien und Messengerdienste etwas aus der Mode gekommen sind, besitzen sie doch nach wie vor eine große Fangemeinde. Es ist halt einfach schön, aller Digitalisierung zum Trotz, hin und wieder einen händisch beschrifteten Urlaubsgruß zu bekommen, den man sich z.B. an den Kühlschrank hängen kann.
Ende des 19. Jahrhunderts, als die Erfindung von Internet und Smartphones noch in weiter Ferne lag, war die Ansichtskarte natürlich ohnehin das Medium der ersten Wahl, wenn man seinen Freunden oder Familienangehörigen einen bebilderten Gruß aus der Fremde zukommen lassen wollte. Wobei „Fremde“ bei unserer Archivalie des Monats mit einiger Berechtigung in Anführungszeichen zu setzen ist, diese wurde nämlich in Rauenberg aufgegeben und nach Waghäusel geschickt. Doch natürlich muss man bedenken, dass es vor Aufkommen der Massenmotorisierung und dem Ausbau eines weitverzweigten Netzes öffentlicher Verkehrsmittel durchaus keine Alltäglichkeit war, solche, aus heutiger Sicht, läppischen Distanzen zurückzulegen.
Die schwungvollen und ästhetisch ansprechenden Kurrenthandschriften, deren Verwendung bis Mitte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum üblich war, sind heute für die meisten Menschen schwer zu entziffern. Darum folgt an dieser Stelle die Transkription des auf der Karte geschriebenen Textes:
Rauenberg 12/11 [18]97 Nächsten Sonntag wird hier das Kirchweihfest gefeiert, wozu ich dich mit deinen lieben Angehörigen freundlichst einlade. Hoffe ganz bestimmt, daß du kommst und zum Mittag hier bist. Gebe mir gleich Antwort, wann du eintriffst. Viele herzliche Grüße an dich und Familie von deinem treuen Freund [Namenskürzel].
Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass Ansichtskarten zu jener Zeit nicht nur für Urlaubsgrüße, sondern auch für trivialere Dinge, wie die Einladung zum städtischen Kirchweihfest, genutzt wurden.
Beim Betrachten der drei Abbildungen auf der Postkarte werden dem Ortskundigen sowohl vertraute, als auch heute nicht mehr existente Elemente des Wieslocher Stadtbildes ins Auge springen. Namentlich benannt ist hier das prachtvolle Kaiserliche Postamtsgebäude, in welchem zwischenzeitlich die Bezirkssparkasse untergebracht war und das, nach Umzug der Bank, zugunsten der heutigen Straßenführung abgerissen wurde.
Ebenfalls eindrucksvoll war das alte Schulgebäude am Marktplatz, welches dort bis in die 1970er-Jahre stand. Da es stark sanierungsbedürftig war und seinerzeit die Errichtung eines Schulzentrums am Rand der Stadt beschlossen wurde, wurde auch dieses Gebäude abgerissen. Heute steht an dieser Stelle das neue Rathaus, dessen Errichtung durch die starke Erweiterung der Aufgabenfelder der Stadtverwaltung nach der Eingemeindung Schatthausens und Baiertals und der Erhebung Wieslochs zur Großen Kreisstadt zwingend erforderlich geworden war.
Auch die auf der Karte abgebildeten Weinreben im Bereich des Stadtwingerts sucht man heute vergeblich. Diese wurden in den 1950er-Jahren im Rahmen der westlichen Ortserweiterung und der Reblandumlegung entfernt. Dafür kam es 1965, im Rahmen der Festlichkeiten zum 1000-jährigen Jubiläum der Marktrechtsverleihung an Wiesloch, zur feierlichen Einweihung der neugeschaffenen Stadtwingertparkanlage.
Wie man sieht, hat sich in Wiesloch in den letzten 125 Jahren einiges getan. Die Stadt ist gewachsen und wurde im Laufe der Zeit mehrfach in Teilen modernisiert und neuen Verkehrsverhältnissen und Erfordernissen angepasst. Manches Liebgewonnene blieb dabei auf der Strecke, was schon immer für kontroverse Diskussionen sorgte. Und dennoch blieb auch vieles erhalten, hiervon kann man sich insbesondere bei einem Gang durch die Innenstadt überzeugen. Dies ist unter Anderem der Tatsache zu verdanken, dass Wiesloch während dem Zweiten Weltkrieg vergleichsweise wenige Kriegsschäden zu beklagen hatte – ganz im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Städten vergleichbarer Größe.
Mittelalterlich bis modern – Wiesloch verfügt heute über eine äußerst vielfältige Bausubstanz, und gerade diese Vielfalt macht den Charme der Stadt aus. Legt sie doch Zeugnis ab von einer langen und wechselvollen Geschichte.
Dokumente zu historischen Faschingsverboten - Februar 2024
Darf man ausgelassen feiern und fröhlich sein, während andernorts Kriege geführt werden und sich Menschen tagtäglich mit Not und Elend konfrontiert sehen? Eine gemeine Gewissensfrage, die an dieser Stelle auch nicht weiter erörtert oder gar beantwortet werden soll.
Unsere Archivalie des Monats Februar zeigt aber, dass es durchaus Zeiten gab, in denen sogar von höchster Stelle für die Bevölkerung entschieden wurde, dass es nichts zu feiern gäbe und in denen bei Zuwiderhandlungen gegen das Feierverbot schwere Strafen verhängt wurden. Offiziell begründet wurde dies während dem Ersten Weltkrieg damit, dass es nicht dem Ernst der Zeit entspräche, Faschingsumzüge und -feiern abzuhalten und sich dabei ungehemmt dem Frohsinn hinzugeben. Neben Wiesloch wurden ähnlich lautende Verordnungen auch in zahllosen anderen deutschen Städten und Gemeinden erlassen – sogar die Karnevalshochburgen des Rheinlandes waren davon betroffen.
Inoffiziell gab es für derlei Erlasse aber noch einen weiteren Grund: Fastnachtsveranstaltungen boten damals wie heute auch immer eine Gelegenheit, Kritik an der Regierung zu üben und gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen, was insbesondere in Kriegszeiten freilich alles andere als willkommen war. Aus diesem Grund kam es der Obrigkeit gewiss nicht ungelegen, wenn sie einen Vorwand hatte, dies zu unterbinden. Da bekanntlich auch die Weimarer Republik im Zeichen etlicher Krisen stand, waren während ihrem Bestehen Faschingsveranstaltungen ebenfalls meist entweder gänzlich verboten oder nur unter äußerst strikten Auflagen erlaubt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden die Umzüge und Feiern wieder genehmigt, wenngleich sich diese natürlich dem Diktat der allgegenwärtigen Blut-und-Boden-Ideologie zu unterwerfen hatten und dementsprechend umgestaltet wurden. Bis zum bösen Erwachen mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, sollte der Bevölkerung damit eine heile Welt vorgegaukelt werden.
Indes irrt, wer meint, derlei Faschingsverbote seien ein Relikt längst vergangener Tage. Es gab auch nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder Anlässe, die es geboten erscheinen ließen, Fastnachtsveranstaltungen zu untersagen oder zumindest stark einzuschränken. Zuletzt war dies 1991 vor dem Hintergrund des Golfkrieges der Fall, als dem närrischen Treiben in Wiesloch und bundesweit eine Absage erteilt wurde. Auch 2002, im Schatten der Anschläge des 11. Septembers 2001, gab es entsprechende Diskussionen. Vor allem aufgrund der negativen wirtschaftlichen Folgen früherer Absagen entschloss man sich diesmal jedoch, die Feiern trotzdem planmäßig durchzuführen.
Eine Besonderheit stellten in der jüngsten Vergangenheit die Pandemiejahre 2021/22 dar, als erstmals Infektionsschutzgründe die Durchführung der Festivitäten weitestgehend verhinderten. Zwar dürfte auch schon 1919 die damals grassierende „Spanische Grippe“ eine Rolle bei der Entscheidung für die fortgesetzten Verbote gespielt haben, jedoch war diese zu jener Zeit nicht als offizieller Grund angeführt worden.
Diese historischen Beispiele lassen erkennen, dass es alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist, dass die „fünfte Jahreszeit“ dieser Tage wieder uneingeschränkt begangen werden kann. Darum ein herzliches Helau all jenen, die sich dieses Jahr erneut ins karnevaleske Getümmel stürzen! Und allen, die über ein erneutes Faschingsverbot gar nicht so unglücklich wären, sei empfohlen, sich schon mal den 14. Februar dick im Kalender anzukreuzen. Denn bekanntermaßen ist am Aschermittwoch alles wieder vorbei.
Fotos von Sportveranstaltungen im Rahmen der feierlichen Einweihung der Sporthalle am Stadion 1964 - Januar 2024
Es fußt auf einer langen Tradition, dass die Menschen zum Jahreswechsel gute Vorsätze für das neue Jahr fassen. Da für viele die Advents- und Weihnachtszeit untrennbar mit gutem und reichhaltigem Essen sowie den in der Archivalie des letzten Monats erwähnten Naschereien verbunden ist, macht sich dies fast unweigerlich auch auf der Waage bemerkbar. Sehr beliebt ist daher der Vorsatz, im neuen Jahr auf eine gesündere Ernährung zu achten und mehr Sport zu treiben, um die überschüssigen Weihnachtspfunde wieder loszuwerden. Wer nicht joggen oder Rad fahren möchte, hat heute in Wiesloch vielfältige Möglichkeiten, sich in den verschiedenen Sportstätten der Stadt körperlich zu betätigen.
Womit wir thematisch bei der ersten Archivalie des Jahres 2024 angelangt wären. Nachdem es im Dezember um den Nikolausmarkt des Jahres 1973 ging, machen wir zum Jahresanfang eine Rolle rückwärts und wagen einen beherzten Sprung – um in der Sportsprache zu bleiben – um (fast) eine Dekade zurück und landen am 10. April 1964 in der Sporthalle am Stadion, die an diesem Tag mit einem Festakt vor über 600 Gästen feierlich eingeweiht wurde. Im Anschluss an die Eröffnungsreden konnte das interessierte Publikum das ganze Wochenende über bei freiem Eintritt allerlei sportlichen Wettkämpfen und Darbietungen unterschiedlichster Disziplinen beiwohnen, wie auf den Bildern zu sehen ist. Ein großer Teil davon fand unter Beteiligung verschiedener Abteilungen der TSG Wiesloch statt.
Nachdem es bereits 1959 zur Einweihung des neuen Waldstadions gekommen war, wurde durch den damaligen Wieslocher Bürgermeister Philipp Hilswicht der Bau einer Sporthalle in unmittelbarer Nachbarschaft in Aussicht gestellt. Nachdem alle offenen Planungs- und Finanzierungsfragen geklärt waren, kam es 1961 schließlich zum Spatenstich, dem eine dreijährige Bauphase folgte. 50 Firmen waren am Bau beteiligt, der im Gesamten 1,4 Millionen DM kosten sollte. Der Architekt Werner Degreif durfte die Einweihung der von ihm geplanten Halle leider nicht mehr miterleben, er starb vor Vollendung der Baumaßnahmen. Seither verfügt die Stadt Wiesloch über ein Sportzentrum, das das wetterunabhängige Ausüben unterschiedlichster Sportarten ermöglicht und bis heute von Schulen und Vereinen rege genutzt wird.
Wieder zurück in der Gegenwart sehen wir uns alle mit diversen Krisen und Unsicherheiten konfrontiert, denen leider auch der Jahreswechsel keinen Abbruch tat. Es gibt dennoch weiterhin gute Gründe, den Optimismus nicht zu verlieren und sich außerdem im Sinne eines friedlicheren Zusammenlebens die dem Pionier der deutschen Turnerbewegung, Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852, besser bekannt als „Turnvater Jahn“), zugeschriebenen Worte zu vergegenwärtigen:
„Das Geheimnis, mit allen Menschen in Frieden zu leben, besteht in der Kunst, jeden seiner Individualität nach zu verstehen.“
Trotz allen unüberwindbar scheinenden Gräben, darf dies niemals in Vergessenheit geraten.
Zwei Zeitungsartikel zum Wieslocher Nikolausmarkt vor 50 Jahren - Dezember 2023
Dieser Tage kann man sich bei Glühwein, Bratwurst und allerlei Naschwerk wieder am alljährlichen Lichterglanz auf dem Wieslocher Weihnachtsmarkt erfreuen und hat noch bis zum 20. Dezember die Möglichkeit, sich in Weihnachtsstimmung zu bringen und gegebenenfalls das ein oder andere Geschenk zu besorgen.
Vor 50 Jahren war das noch anders. 1973 gab es in Wiesloch keinen Weihnachtsmarkt, sondern lediglich einen am 6. Dezember abgehaltenen Nikolausmarkt, über den die beiden obigen Zeitungsartikel berichteten. Den ersten mehrwöchigen Weihnachtsmarkt gab es in Wiesloch erst 1978, also fünf Jahre später.
Presseerzeugnisse aller Art sind eine für die Geschichtsforschung und Stadtgeschichtsschreibung nicht zu unterschätzende Quellengattung, da sich ihnen entnehmen lässt, was die Stadt und ihre Bewohner zum Veröffentlichungszeitpunkt am stärksten bewegte. Aus diesem Grund verfügt auch das Stadtarchiv Wiesloch über umfangreiche Zeitungs- und Zeitschriftenbestände sowie thematisch sortierte Zeitungsartikelsammlungen.
Mit diesen vorweihnachtlichen Impressionen aus dem Jahr 1973 beenden wir für dieses Jahr unsere im September begonnene Veröffentlichungsreihe „Archivalie des Monats“, doch auch im kommenden Jahr wird die Reihe fortgesetzt werden. Bis dahin wünscht Ihnen das Stadtarchiv Wiesloch eine besinnliche Adventszeit, frohe Festtage und einen guten Start in ein glückliches, gesundes und hoffentlich friedvolleres Jahr 2024!
Heimatschein eines im Wieslocher Bergbau Beschäftigten - November 2023
Unsere Archivalie des Monats November führt uns zurück in das Jahr 1852, eine Zeit, als in Wiesloch der Bergbau florierte und Wiesloch Teil des Großherzogtums Baden war. Das Großherzogtum wiederum war seit 1815 Mitglied des Deutschen Bundes – einem bis 1866 existierenden Staatenbund, welcher gewissermaßen ein Vorläufer des 1871 gegründeten Deutschen Reiches war.
Alle Bürger innerhalb des Deutschen Bundes waren zugleich Besitzer sogenannter Heimatrechte, welche sich meist auf ihren Geburtsort erstreckten, sofern der Heimatort nicht z.B. durch Eheschließung aktiv geändert wurde. Sie besaßen dort ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht, was mit der Garantie verbunden war, auch nach dem Umzug in eine andere Gemeinde jederzeit wieder in die Heimatgemeinde zurückkehren zu dürfen, wenn sie beispielsweise ihre Arbeit verloren und mittellos wurden. Wer zu jener Zeit einer geregelten Beschäftigung in einer anderen Gemeinde nachgehen wollte, musste seinem Arbeitgeber, neben anderen Unterlagen, in der Regel auch seinen Heimatschein vorlegen, in welchem dem Inhaber das individuelle Heimatrecht durch den Gemeinderat der Heimatgemeinde bestätigt wurde. So auch im Falle des damals 25-jährigen Karlsruhers Carl Holzmann, der seinerzeit nach Wiesloch zog, um in den dortigen Bergbaustollen zu arbeiten.
Holzmann war mit diesem Vorhaben beileibe kein Einzelfall. Mit Unterbrechungen wurde auf Wieslocher und Nußlocher Gemarkung über einen Zeitraum von über 2000 Jahren intensiv Bergbau betrieben, und Wiesloch hätte sich ohne diesen wichtigen Industrie- und Wirtschaftszweig vermutlich nicht zu seiner heutigen Größe entwickelt. Denn lange Zeit war der Bergbau einer der Hauptgründe, warum sich Menschen hier niederließen. Von der Antike bis zur Moderne wurden in den Wieslocher Stollen Blei, Silber, Zink und Eisen gefördert.
1851 – also gerade einmal ein Jahr bevor der obige Heimatschein ausgestellt wurde – waren die zwischenzeitlich in Vergessenheit geratenen mittelalterlichen Bergwerksanlagen wiederentdeckt worden. In der Folge gewann der Zinkerzabbau neuen Schwung und es wurden viele neue Bergleute für die Arbeit unter Tage gesucht. Noch ein Jahrhundert wurde der Wieslocher Bergbau danach weiter betrieben, bevor er wegen stark sinkenden Metallpreisen immer unrentabler wurde und 1954 schließlich endgültig vor dem Aus stand. In den darauffolgenden Jahrzehnten geriet der Bergbau bei der Bevölkerung zunehmend in Vergessenheit und heute wissen selbst viele gebürtige Wieslocher nicht mehr, dass es ihn jemals gab.
Um das Bewusstsein für diesen für unsere Stadt einst so wichtigen Industriezweig aufrecht zu erhalten bzw. wiederzuerwecken, widmet sich ihm ein großer Teil der Ausstellungsfläche im Städtischen Museum Wieslochs, welches jeden Sonntag von 14-16 Uhr bei kostenfreiem Eintritt geöffnet hat. Hier lässt sich auch die originalgetreue Nachbildung eines kurzen Bergbau-Stollenganges begehen, wodurch die Besucher einen Eindruck davon bekommen können, wie es einmal war, unter diesen beengten Bedingungen stundenlang ohne Tageslicht zu arbeiten.
Wer außerdem im Rahmen eines Spazierganges nachvollziehen möchte, wo sich die Wieslocher Bergbaustollen befanden und über welches Areal sie sich erstreckten, dem sei der von Dr. Ludwig Hildebrandt geplante und kommentierte 5,6 Kilometer lange Bergbau-Rundweg am Kobelsberg empfohlen.
Dokumente zu den Anfängen der Wieslocher Stromversorgung - Oktober 2023
Nach einem schönen, langen Sommer hält allmählich der Herbst wieder Einzug und neben sinkenden Temperaturen werden auch die Tage immer kürzer. Das für uns zur Selbstverständlichkeit gewordene Betätigen des Lichtschalters und die helle Beleuchtung unserer Straßen sorgen jedoch dafür, dass das schwindende Sonnenlicht für unseren Tagesablauf kaum noch eine Rolle spielen muss. Möglich macht dies der elektrische Strom, der uns nicht nur künstliches Licht beschert, sondern auch den Großteil der Gerätschaften am Laufen hält, die tagtäglich für uns im Einsatz sind und uns das Leben leichter und komfortabler machen. Vom Computer bis zum Kühlschrank – Strom ist für uns heute eine unverzichtbare Ressource, was uns vor allem bei einem Stromausfall schmerzlich bewusst wird.
Dabei wird gerne vergessen, dass die Nutzung elektrischen Stroms menschheitsgeschichtlich betrachtet noch ein sehr neues Phänomen ist. Nachdem 1879 der Erfinder Thomas Edison der verblüfften Öffentlichkeit erstmals eine elektrische Glühlampe präsentiert hatte, kam es erst an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert zu einer zunehmenden Elektrifizierung der Städte und Gemeinden. So auch in Wiesloch. 1898 schloss die Stadt einen Konzessionsvertrag mit der Elektrizitäts-Actien-Gesellschaft vormals W. Lahmeyer & Co. Frankfurt Main, Zweigniederlassung Karlsruhe ab, in welchem der Gesellschaft der Bau eines Elektrizitätswerkes auf Wieslocher Gemarkung genehmigt und ihr für die Dauer von 25 Jahren das alleinige Recht eingeräumt wurde, die städtischen Straßen und Gebäude mit Strom zu versorgen. Im Gegenzug sicherte sich die Gemeinde einen Preisnachlass von anfänglich 25 % bei der Stromnutzung durch die städtischen Gebäude.
Damit war der Startschuss für die elektrische Stromversorgung Wieslochs gefallen und es wurde zügig mit dem Bau des Elektrizitätswerks begonnen. Es handelte sich dabei um ein Kohlekraftwerk, das nahe dem Staatsbahnhof Wiesloch-Walldorf errichtet wurde. Wichtiger Grund für die Standortwahl war die Möglichkeit, sich die als Brennstoff benötigte Kohle unkompliziert über die Schiene anliefern zu lassen. Am 7. Oktober 1899 war es schließlich soweit: Das Kraftwerk nahm seinen Betrieb auf und die Stromversorgung Wieslochs sowie Walldorfs, Altwieslochs und Baiertals damit ihren Anfang. 2024 jährt sich dieses Ereignis zum 125. Mal. Der Siegeszug des elektrischen Stroms ließ sich damit auch in unserer Region nicht mehr aufhalten und das Wieslocher Elektrizitätswerk sollte in den darauffolgenden Jahren mit zunehmendem Ausbau des Stromnetzes immer mehr Gemeinden im erweiterten Umkreis beliefern. Doch bereits 1913-1914 wurde das Wieslocher Kraftwerk schrittweise wieder außer Betrieb genommen und in eine Transformatorenstation umgewandelt. Dies geschah vor dem Hintergrund der weiteren technischen Entwicklungen und der damit einhergehenden zunehmenden Zentralisierung der Stromversorgung. Von nun an bezog Wiesloch seinen Strom vom Kraftwerk Mannheim-Rheinau, welches über modernste Drehstrom-Generatoren verfügte, die den im Wieslocher Kraftwerk eingesetzten Wechselstrom-Generatoren in ihrer Effizienz deutlich überlegen waren. Die Stromerzeugung wanderte damals aus Wiesloch ab – doch der Bedarf an elektrischem Strom wuchs weiter stetig an und der Zugang zu ihm wurde in Wiesloch und weltweit nach und nach auch für die privaten Haushalte zur nicht mehr wegzudenkenden Selbstverständlichkeit.
Lesetipp: Mehr über die Geschichte der Wieslocher Stromversorgung finden Sie hier: Herzig, Thomas: „Ex tenebris ad lucem“. Von den Anfängen der Wieslocher Stromversorgung. In: Stadtarchiv Wiesloch (Hg.): Wiesloch. Beiträge zur Geschichte, Band 1, Ubstadt-Weiher, 2000, S. 175-196.
Wagonia - September 2023
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erfuhr die Stadt Wiesloch eine Phase ausgeprägten industriellen Wachstums und eines damit einhergehenden starken Anstiegs der Einwohnerzahl. Neben dem Bergbau suchten und fanden die Menschen in Wiesloch Arbeit in der 1896 gegründeten Tonwarenindustrie, in der im selben Jahr gegründeten Lederwaren- und Schuhfabrik sowie in diversen Zigarrenfabriken und Gerbereien – um nur einige Industriezweige zu nennen. Viele der dortigen Angestellten zogen in dieser Zeit mit ihren Familien in die Stadt, was zur Folge hatte, dass der verfügbare Wohnraum bald immer knapper wurde.
(Wohnungs-)Not macht erfinderisch, und so beschloss 1925 der damalige Gemeinderat kurzerhand, zirka ein Dutzend Familien in einer improvisierten Siedlung, bestehend aus mehreren ausrangierten Eisenbahnwaggons, behelfsmäßig unterzubringen. Die Siedlung in damaliger Stadtrandlage befand sich im Bereich der heutigen Sofienstraße und wurde vom Volksmund bald Waggonia (seltener auch Wagonia geschrieben) genannt. Um der anhaltenden Wohnraumknappheit Herr zu werden, kam es 1937, während der Zeit des „Dritten Reiches“, schließlich zur sogenannten Neudorfsiedlungsgründung des heutigen Wieslocher Stadtteils Frauenweiler. Die Waggonia-Siedlung, die von Anfang an nur als Provisorium geplant gewesen war, verlor damit ihren Zweck, und nachdem im November 1937 ihr letzter verbliebener Bewohner ausgezogen war, wurde sie noch im selben Jahr wieder aufgelöst.
Wer nun Lust bekommen hat, sich noch eingehender mit der Geschichte Wieslochs zu beschäftigen, hat dafür vielfältige Möglichkeiten: Unsere Seite Literatur verschafft einen guten Überblick. Jede Menge Lesestoff aus Originalquellen und historisches Bildmaterial gibt es außerdem in den Beständen des Stadtarchivs, das von allen interessierten Personen kontaktiert und nach terminlicher Abstimmung genutzt werden kann. Außerdem sei Ihnen ein Besuch des Städtischen Museums im mittelalterlichen Wehrturm „Dörndl“ nahegelegt, das in zentraler Stadtlage auf seiner Ausstellungsfläche allerlei Anschauliches zu den Themen Wieslocher Bergbau, frühe Besiedlungsgeschichte und vieles mehr zu bieten hat. Das Städtische Museum ist jeden Sonntag von 14 bis 16 Uhr geöffnet, der Eintritt ist kostenlos.
Nachlass Max Oppenheimer:
Verzeichnis des wissenschaftlich-politischen Nachlasses von Dr. Max Ludwig Oppenheimer Verzeichnis (PDF | 5,8 MB)
Der wissenschaftlich-politische Nachlass des 1919 in Karlsruhe geborenen und 1994 in Wiesloch verstorbenen Journalisten, Politikers und Historikers Dr. Max Ludwig Oppenheimer befindet sich seit 1998 im Bestand des Stadtarchivs der Großen Kreisstadt Wiesloch, nachdem er ihm freundlicherweise von seiner Frau Gertrud und seiner Tochter, Frau Gaby Oppenheimer, überlassen worden war. Das hier online einsehbare Verzeichnis bietet einen ersten Überblick über den Inhalt des Nachlasses und soll interessierten Personen zur Erstrecherche dienen. Der gesamte Nachlass kann nach terminlicher Absprache im Wieslocher Stadtarchiv eingesehen werden.
Es handelt sich dabei um ein umfangreiches Konvolut aus 700 Dokumenten, das in seiner Gesamtheit eine wertvolle Quelle zur Geschichte der Verfolgung von – aus Sicht des Regimes – missliebigen Personen in der Zeit des „Dritten Reiches“ im Mannheimer und Heidelberger Raum darstellt sowie zur Bildung des antifaschistischen Widerstandes, zur Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts bis in die 1990er Jahre und zur Geschichte der Gewerkschaftsbewegung. Ausführlichere Erläuterungen zum Inhalt des Nachlasses finden sich im Einführungstext des Verzeichnisses. Es beinhaltet außerdem Ausführungen zur Biografie Max Ludwig Oppenheimers und ein weiterführendes Literaturverzeichnis.
Das Verzeichnis wurde 2002 von Herrn Manfred Stange in mühevoller und akribischer Arbeit erstellt, wofür ihm großer Dank gebührt. Und natürlich ist vor allem der Familie Oppenheimer vielmals dafür zu danken, dass sie diese wertvolle zeitgeschichtliche Zusammenstellung aus ihrem Familienbesitz dem Wieslocher Stadtarchiv – und damit der interessierten Öffentlichkeit – zur Verfügung gestellt hat. Die Familie Oppenheimer und die Stadtverwaltung Wiesloch eint der Wunsch auf eine rege Nutzung des Nachlasses durch Wissenschaft, Presse und alle, die mehr über die Geschichte von NS-Verfolgung, Widerstand und Wiedergutmachung in unserer Region wissen möchten.